Das Heckenröschen
In der breiten Hecke am Schulweg wohnt das Heckenröschen in ihrem Schloss.
Sie wartet darauf, dass jemand kommt und sie aus dem Schloss holt.
Befreit werden muss sie nicht. Niemand hat ihr einen lästigen Fluch auf die Pelle gehext wie »Du sollst tot umfallen und auf der Stelle tot sein« – dieser Fluch wird dann ja im Allgemeinen gerne von einer wohlmeinenden guten Fee umgewandelt in »du sollst nicht auf der Stelle tot sein« oder in »du sollst einfach voll lange schlafen« .
Nein, das Heckenröschen wohnt da in ihrem Schloss in der Hecke und wartet.
Nicht, dass niemand gekommen wäre. Nein, aber die waren bisher alle zu doof und zu paddelig.
Der erste der kam brach die Tür auf und eh dass das Heckenröschen »die Tür war doch überhaupt nicht abgeschlossen« zu Ende sagen konnte, hatte sich der junge Mann (Prinzen waren bisher nicht erschienen) schon der Länge nach auf den Pinsel gelegt und humpelte »Mama« schreiend nach Hause.
Der nächste der kam hätte ja nun bequem durch die ohnehin schon offene Tür hereinspazieren können... Hätte. Hat er aber nicht. Er wollte Heckenröschen erobern, indem er zum Fenster hereinkam. Er warf das Fenster mit einem dicken Stein ein, blieb aber beim Hereinklettern irgendwie am Fensterrahmen mit den Fußspitzen hängen und knallte mit dem Kopf voran auf das Parkett, dass Heckenröschen kurz zuvor noch hatte wischen lassen, weil ihr so langweilig gewesen war.
Auch dieser junge Knabe lief heulend (durch die ohnehin offenene) Tür davon.
Der dritte junge Mann wollte es ganz besonders richtig machen. Nachdem nun die Tür schon eingetreten, das Fenster schon eingeschmissen war, kam er mit einer Leiter und einem Glasschneider des Weges. Er wollte das kleine Dachbodenfenster aufschneiden und so ins Schloss gelangen und die Gunst des wartenden Heckenröschens erringen.
Er kletterte die mitgebrachte Leiter hoch, zog den Glasschneider aus der Tasche und schnitt das Fenster sauber durch. Leider schnitt er sich aber beim Hereinklettern an der Hand und fiel »Aua« schreiend von der Leiter. Dass ihm kein Leid geschah, ist dem Umstand geschuldet, dass der Gärtner dort frisch den Komposthaufen aufgeschichtet hatte.
So saß das Heckenröschen in ihrem Schloss in der breiten Hecke am Schulweg. Eines Tages kam nun ein junger Mann. Heckenröschen strahlte ihn verliebt an. »Mensch«, sagte der junge Mann, der wohl auch ein Prinz hätte sein können, »deine Fenster und deine Tür sind ja kaputt. Da kann es ja hineinregnen. Oder herein. Je nachdem...«
»Jaha...« hauchte das Heckenröschen.
»Soll ich dir das mal reparieren, ich hätte grade wohl Zeit«, sage der junge Mann, der wohl auch ein Prinz hätte sein können.
»Jaha...« hauchte das Heckenröschen.
Und so machte sich der junge Mann, der.... munter ans Werk. Das Heckenröschen hörte ihn an der Tür, am Fenster und am Dachbodenfenster rumoren. In Gedanken sah sich schon auf einem weißen Einhorn mit dem jungen Mann, der …. davonreiten.
Verschwitzt stand der junge Mann schließlich vor ihr.
»Fertig«, sagte er.
»Alles wieder heile«, sagte er.
»Jaha...« hauchte das Heckenröschen.
»Das macht 98Euro und 50 Cent, Kontonummer steht auf der Rechnung, schönen Tag noch..«, sagte der junge Mann, der wohl auch ein Prinz hätte sein können.
Das Heckenröschen schloss die Tür und sitzt nun noch immer in der breiten Hecke am Schulweg.